Antarktis Stadt
 
Donnerstag, 10. August 2006



buecherpingpong 3 - peter altenberg: sonnenuntergang im prater

kleines buch, lange gedauert: vor unentschuldbaren zwei monaten hat sma mir diesen kleinen reklamband schon zugespielt. ich hab ihn schnell gelesen gehabt und trotzdem lange nichts dazu geschrieben, warum?

peter altenberg, mir bis dahin kein begriff gewesen, schreibt kleine, impressionistische prosastücke. wien. bohemien. alle frauen sind freche ladenmädchen oder tänzerinnen oder heißen mitzi oder sind blasse, von der belesenheit des erzählers hingerissene schönheiten.

"Die junge Frau war blaß geworden. Sie verstand nicht alles, sie wußte nur, daß es etwas sei, was ihren Horizont überflog und sich nach vorwärts und oben weit ausdehnte, wie das Licht, die Luft - - - ." (was da vorgelesen wurde: tchechow. die frauen kommen generell nicht besonders gut oder klug weg bei herrn altenberg, den ich verdächtige, ein schlimmer chauvinist zu sein.)

es geht viel um tee und ägyptische zigaretten und den prater und kindheitserinnerungen und immer ist spätsommer oder herbst. alles sehr still, melancholisch, schön. fein beschriebene, kleine miniaturen. unterhaltsam weg zu lesen.

dann erste irritationen. warum diese häufung von gedankenstrichen überall? drei, fünf, am ende jedes zweiten satzes. eher auslassungszeichen als pausen. fragmentierung. viele sätze unvollständig. an den rändern bröckelt das idyll gewaltig und es haucht einen kalt an aus dem abgrund, der sichtbar wird.

dann, seite 45, wird es richtig gruselig. sechs kleine texte, die im gleichen malerischen tonfall auf einmal nicht mehr wiener damen in zartfarbenen kleidern schildern, sondern afrikanische hütten, die als teil einer "völkerschau" ein jahr lang (um 1896) im schönbrunner tiergarten aufgebaut waren. samt bewohnern. und herr altenberg fand das offensichtlich ganz toll, und auch der herr, der das nachwort zu diesem büchlein geschrieben hat, findet daran nichts besonders schlimmes:

"Dieses Naturrecht sah Altenberg nur noch bei den Völkern Afrikas und der Südsee verwirklicht. Altenberg betrat diese exotischen Länder nie, sondern entdeckte sie mit kindlich-staunenden Augen zwischen den herbstlichen Bäumen des Tiergartens. 1897 erschien sein Buch Ashantee voller Skizzen über ein Negerdorf, das als Völkerschau ein Jahr lang in Wien gastierte. In den Texten wird das Leben der Aschanti-Neger geschildert, wobei das Ich nicht als "outsider", sondern als Aufgenommener erscheint: das verlorene und wiedergefundene Paradies also nicht wie bei Gauguin in der Südsee, sondern im heimatlichen Wien, im Schönbrunner Tiergarten." (Hans-Dieter Schäfer)

nö schön. ich distanziere mich hiermit nochmal ausdrücklich von der sprache dieses zitates. 1968, als das buch zum ersten mal erschien, schön und gut, eventuell. aber bei der neuausgabe 2002, die mir vorliegt, hätte da nicht vielleicht jemand merken können, dass man nicht unbedingt "neger" sagt oder schreibt? und dass diese sogenannten völkerschauen für die ausgestellten völker vielleicht gar nicht so ein paradies waren wie für den wiener bohemien, der da seinen zivilisationsfrust ablassen konnte? und dass herr altenberg nicht nur kindlich-naiv sich dem ganzen näherte, sondern die ganze palette exotisierender, ausbeutender sexualisierung auffährt, wird schon deutlich:

Der Abend "Acht Uhr abends. Regen, Regen - - -. Es hört ein bisschen auf. Es duftet nach nassen Kieselsteinen. Oder es scheint so zu sein. Tíoko steht da, in lila Kattun eingehüllt. Wie ein dunkler Teichvogel, der friert. Wie auf einem Fuße steht sie, geduckt in lila Gefieder. Da gebe ich ihr den ersten Kuß. Ruhig steht sie da - - -. Wie glücklich bin ich - - -. Der Regen hat ein bisschen aufgehört. Es duftet nach nassen Kieselsteinen. "Goodnight, Tíoko - - - - - - -. Tíoko - - - !?- - - - - Tíoko?!" "Oh Sir - - - ."

ich echauffiere mich hier aber schon wieder mal. an diesem einen punkt blieb meine ganze aufmerksmkeit hängen, und alle versuche, den texten noch mehr abzugewinnen, wurde davon überlagert. stichpunkte: gut beobachtet, filigran geschilderte alltagssituationen, sparsamkeit der mittel, das gefällt mir ja durchaus mal.

aber hier bleibe ich ratlos zurück. deshalb langes, ratloses schweigen. sorry. gern hätte ich mehr positives, das es über herrn altenberg bestimmt zu sagen gibt, gesagt.

sma darf als nächstes, und bestimmt deutlich schneller als ich, robert walser: der spaziergang, von 1918 lesen. nur noch meinen lieblingsausdruck zu walser: nomadische mansardenexistenz. alles weitere dann später, aber nicht so spät wie diesmal...

 
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soweit der plan mit diesem allerrührendsten aller lieder das bloggerleben zu beenden. ist jetzt der dringenden drang dazwischengekommen ("der dringende drang", sollte ich mal einen roman schreiben, der so heisst; oder so). satzzeichenverwirrung. auf jeden fall wollte ich mitteilen, dass ich dieses wochenende in berlin gedenke, mich aber sowas von...
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