Antarktis Stadt
 
Donnerstag, 18. Mai 2006



buecherpingpong 2 - siri hustvedt: was ich liebte

prolog mein erstes buch im bücherpingpong, alle tage von terezia mora, war sma wohl etwas wirr, unkonventionell, experimentell und uneindeutig. mit was ich liebte hat er mir trotzdem einen unerwarteten ball zurückgespielt. ich hatte von dem buch schon viel gehört, meist gutes, aber nie den drange verspürt, es zu lesen.

eins: das buch ist blöd s. h. macht es einem ausgesprochen leicht, ihr buch blöd zu finden. das titelbild ist blöd. ihr name ist sogar blöd. sie ist mit paul auster verheiratet, paul auster ist blöd. es geht um zwei ehepaare in new york. alle wohnen in lofts. dauernd werden ausstellungen in galerien eröffnet. tragische verstrickungen zwischen dem protagonisten (kunstgeschichtsprofessor), seiner frau (literaturprofessorin), seinem besten freund, einem anfangs unbekannten, aber natürlich genialen maler und dessen erster (Lyrikerin) und zweiter frau (Autorin). wie originell. new york-lokalkolorit, ein paar ausgeflippte charaktere dazu, ein paar kunst- und gesellschaftstheoretische abhandlungen reingesampelt, aber immer schön populärwissenschaftlich gehalten, damit es nicht zu anstrengend wird. „tragische unfälle“, „liebe, die zerbricht“, „freundschaft“, gefühliger spiegel-bestenlisten-creative-writing-einheitsbrei.

[ausgewählte textstellen zum beleg: „Dabei sah Bill in meinen Augen wie das Byron’sche Ideal männlicher Schönheit aus. Eine schwarze Locke war ihm in die Stirn gefallen, während er gedankenverloren an seiner Zigarette zog und blinzelte.“

„Violets Arbeit beflügelte unweigerlich ihre persönlichen Leidenschaften und Essen war eine davon. Sie kochte gut und aß mit Genuss, wobei sie gerne kleckerte. Fast immer wenn Erica und ich mit Bill und Violet aßen, endete es damit, dass Bill zärtlich mit der Serviette Essensreste oder Saftflecken von Violets Gesicht abtupfte.“]

zwei: well done, siri natürlich funktioniert das ganze nur, wenn es gut gemacht ist. sonst lese ich so ein buch nicht in zwei tagen doch ziemlich atemlos runter. die figuren der söhne der beiden paare tragen dazu erheblich bei, da sie das mich langweilende „künstler-in-new-york“-ding durchbrechen und dem buch zu anderen themen und handlungssträngen und einer vielzahl ziemlich bewegender momente verhelfen. als ich nach hundert seiten bereit war, dem zu folgen, hat es mich sehr gefangen genommen und ich gebe zu – ich war gerührt. mit einer leicht manipulativen art, wie sie gut gemachter unterhaltungsliteratur oft eigen ist, hat mich das buch gekriegt. sympathie, antipathie, mitleid, neugierde, ängstliche spannung, alles geboten. vieles ist gut beobachtet, s.h. weiss mit symbolen und leitthemen (essen – hungern; ordnung – chaos) wirkungsvoll umzugehen, die dialoge sitzen. die überlegegungen und gespräche der figuren zu unterschiedlichen themen aus kunst, literatur und besonders die zu hysterie und essstörungen als typische krankheitserscheinungen ihrer zeit sind interessant und überzeugend. nur die beschreibungen der kunstwerke empfand ich oft als krampf: „Mit der Aufgabe des Flächigen in der Malerei war Bill in eine neue Dimension gesprungen. [...] Er arbeitete weiter in kontratierenden Stilen, mit Verweisen auf die Kunstgeschichte und kulturelle Bilder allgemein – Werbung eingeschlossen.“ wow! und das mitte der 80er jahre, wie innovativ!

drei: sadismus und enthaltung am meisten vergnügen machte es mir, mit welch sadistischer freude s. h. ihrem protagonisten systematisch alles nimmt, was er liebte. nachdem sie ihn und uns in hundert seiten schwer erträglicher sicherheit gewiegt hat, geht es los, schlag auf schlag: sein sohn stirbt. seine frau verlässt ihn. sein freund stirbt. der sohn seines freundes ist eine einzige, brutale enttäuschung. die zweite frau seines freundes, die er auch liebte, verlässt ihn. er wird blind. am ende war mir manchmal, als hörte ich siris hämisches kichern zwischen den zeilen, wie sie ihn erst durch eine körperlich wie seelisch schmerzvolle tour de force durch die flughafenhotels halb amerikas hetzt (meine lieblingsepisode), um ihn am ende als karikatur eines alten, einsamen, gebrochenenen mannes in seiner wohnung sitzen zu lassen. einiges wird zum glück nur angedeutet, vor dessen plumper einlösung ich schon angst hatte. hat der sohn des freundes schuld am unfall des sohnes? wir wissen es nicht. ist der sohn mit seiner künstlerischen begabung aus einem seitensprung der frau mit dem besten freund entstanden? wird nie auch nur angesprochen, obwohl einige szenen dies vermuten und fürchten ließen. durch diese leerstellen, dieses zurückschrecken vor den letzten möglichen wendungen des plots geben dem roman eine leichte subtilität, die ihn davor bewahrt, banal zu werden.

epilog im gespräch mit einem freund über das buch kam mir der gedanke, der meine lektüre am besten zusammenfasst (beziehungsweise sagte ich den satz, wirklich darüber nachgedacht habe ich wie so oft erst, als ich es schon behauptet hatte. die hälfte meiner gedanken bildet sich erst beim aussprechen, ohne dass das ihrer wahrhaftigkeit abbruch täte). was ich liebte zu lesen war wie ein besuch meines eigenen, fünf jahre jüngeren ichs. das ein englisch-lk hatte, ein semester amerikanistik studierte und leidenschaftlich gern und viel amerikanische romane las, in denen es vor schicksalen, entwicklungen, coming-of-age-geschichten und dramatischen wendungen nur so wimmelte. für was ich liebte war ich also entweder zu früh dran oder das buch kam zu spät.

mein zweites buch für sma ist schon unterwegs zu ihm. das bücherpingpong geht weiter mit giorgio bassani (1962): die gärten der finzi-contini (literaturkritik.de, amazon). einer meiner liebsten autoren, sein bestes buch, finde ich. schöner gegensatz zu was ich liebte, auf ganz andere weise, als alle tage es war.

 
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soweit der plan mit diesem allerrührendsten aller lieder das bloggerleben zu beenden. ist jetzt der dringenden drang dazwischengekommen ("der dringende drang", sollte ich mal einen roman schreiben, der so heisst; oder so). satzzeichenverwirrung. auf jeden fall wollte ich mitteilen, dass ich dieses wochenende in berlin gedenke, mich aber sowas von...
by lmd78 (19.06.08, 18:50)
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wenn der kater sich langsam verabschiedet, immer dieser heisshunger nach pizza. so stell ich mir die gelüste schwangerer frauen vor.
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